Der deutsche Leitindex Dax wird größer: Statt derzeit 30 Werten werden ab September 40 Unternehmen enthalten sein. Der M-Dax schrumpft im Gegenzug von 60 auf 50 Mitglieder. Doch die deutsche Börse vergrößert den Dax nicht nur, sie verschärft auch die Aufnahmeregeln und zieht damit Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal.
Seit der Einführung des Dax 1988 hat sich das wichtigste deutsche Börsenbarometer deutlich mehr als verzehnfacht. Wer vor mehr als dreißig Jahren eingestiegen und seither investiert geblieben ist, konnte bis Ende 2020 eine jährliche Rendite von knapp 7,6 Prozent erzielen. Selbst Skandale und die Hybris einzelner CEOs konnten dem Dax in der Vergangenheit wenig schaden, wenn man sich das jüngst erzielte Allzeithoch vergegenwärtigt. Daher sollte auch jetzt nicht abgewartet werden, bis die Neuankömmlinge im Dax eingetroffen sind.
Erfahrungsgemäß steigen die Kurse der vermuteten Aufsteiger bereits vor der Dax-Aufnahme, weil Institutionelle und Semi-Institutionelle sich schon vorher eindecken. Gut zu sehen ist das an der Kursentwicklung beispielsweise von Symrise, Zalando, Airbus und der Porsche SE. Doch das Gebot der Stunde ist: antizyklisch vor der Herde auf den Trend setzen, die Welle reiten und die Aktien bei abnehmendem Momentum abstoßen, sofern kein langfristiges Investitionsinteresse besteht.
Ist der Trend hingegen einmal gestartet, unterliegen viele Marktteilnehmer dem Anchoring- und Dispositionseffekt, der den Aufnahmekandidaten erst allmählich kurstechnisch erwachen lässt. Fängt die Anlegerherde auf dem rationalen Anpassungspfad dann an zu traben, befeuern Endowment- und Overconfidence-Effekte, Herding und Performance Chasing den Trend, es kommt zu deutlichen Überreaktionen und das Kurskorrekturpotenzial nimmt wieder zu. Spätestens an diesem Punkt sollte der Neocortex aktiviert und antizyklisch Positionsreduktion vorgenommen werden.
Auch in Bezug auf selektive Wahrnehmung ist es wichtig, die Auswirkungen der Neuro-Finance im Blick zu behalten: Wenn man die in der Kursentwicklung unterstellten Reinvestitionen der Dividenden im Dax ausblendet, wie es bei den meisten Marktindizes gilt, dann liegt der Dax bereinigt auf dem Niveau von März 2000 und damit auf dem Niveau von vor 21 Jahren. Rechnet man hingegen die Dividenden mit ein, kommt man auf eine Performance von 90 Prozent seit dem März-Hoch vor dem Platzen der Dotcom-Blase.
Grundsätzlich ist die Aufnahme von zehn unterschiedlichen Kandidaten in den Dax positiv: Die Beletage der deutschen Aktienindizes wird dadurch sportlicher. Während die aktuellen 30 Dax-Konzerne mit rund 1,4 Billionen Euro für etwa 65 Prozent der Marktkapitalisierung des deutschen Aktienmarkts stehen, könnte der Börsenwert der dann 40 Dax-Mitglieder auf rund 1,7 Billionen Euro beziehungsweise knapp 80 Prozent der Marktkapitalisierung des deutschen Aktienmarkts ansteigen. Gleichzeitig nähert man sich durch die Aufnahme und das neue Regelwerk an internationale Standards an, die Diversifikation steigt, wirkt risikomindernd und wird insgesamt zu einer stärkeren Stabilität des Index führen. Trotz der Erweiterung wird der Dax jedoch im internationalen Vergleich weiterhin zu den eher kleineren Indizes gehören.
Den M-Dax hingegen werden die zehn Aufsteiger schwächen: Es wurde über kein Ausgleichsinstrument nachgedacht, sodass sich der M-Dax um diese Werte verkleinern wird. Viele Marktakteure haben ihre Bewertungsmodelle aufgrund selektiver Wahrnehmung noch gar nicht angepasst.
Ein Blick in die Zukunft verheißt zyklischen Sektoren wie Industrie, Grundstoffe und zyklischer Konsum ein höheres Gewicht, gleichzeitig dürfte die Bedeutung von Finanz- und IT-Werten abnehmen. Und vergleicht man den Dax mit international renommierten Indizes mit 100, 225, 2.000 und mehr Werten, wird die Erweiterung des Dax wohl nur der Anfang sein. Auch passive Investments mit der erfolgreichen ETF-Industrie werden zukünftig sicherlich weitere Diversifikationstendenzen erzwingen.
Über den Autor:
Nikolas Kreuz ist geschäftsführender Gesellschafter bei INVIOS – Institut für Vermögenssicherung und Vermögensverwaltung. In früheren Berufsstationen verantwortete er die Vermögensverwaltungen bei der Deutschen Bank, der UBS und der DZ Privatbank und war zudem Investmentchef für zwei Landesbanken.