Das zeigen auch die Erkenntnisse der Neuro-Finance. „Doch hier ist Vorsicht geboten“, sagt Nikolas Kreuz, Geschäftsführer der INVIOS GmbH. „Sonst führt uns unser Gehirn an der Börse auf Irrwege.“
In seinen bald absolvierten ersten 100 Tagen hat der neue US-Präsident Joe Biden einen bemerkenswerten Start hingelegt: Die Impfungen kommen schnell voran, ein riesiges Konjunkturpaket ist geschnürt. Der Boden scheint bereitet für ein weiteres Kursfeuerwerk. Biden der Held, sagt unser Hirn, hat den Schurken Trump abgelöst – und alles wird gut oder sogar besser. „Wer jetzt kauft, könnte das aus den falschen Gründen tun – und zudem zu lange investiert bleiben“, sagt Kreuz.
Grundsätzlich gilt: Demokratische Präsidenten haben der Börse in der Vergangenheit mehr Zuwachs beschert als republikanische. Warum also sollte Biden eine Ausnahme sein? Dazu kommt: Hat nicht Trumps Anfeuerung des Konflikts mit China die Börsen auf eine Achterbahnfahrt geschickt und damit die Volatilität getrieben? Der Schurke, der per Twitter die Börsen zu erratischen Ausschlägen trieb, ist Geschichte. Bühne frei für den strahlenden Helden. „Doch bevor wir vorschnell in Gut und Böse kategorisieren, sollten wir auf die Fakten schauen“, so Kreuz.
Biden schafft es, mit dem schnellen Durchimpfen das Land zu stabilisieren. „Der Staat, der sich am schnellsten durch die Pandemie impft, wird sich am deutlichsten erholen“, sagt Kreuz. „Den USA wird deshalb das größte Wirtschaftswachstum seit Ronald Reagan prognostiziert.“ Auch die Frühindikatoren erholen sich, die Arbeitslosenquote sinkt. „All das wird den Börsen guttun“, sagt Kreuz. Und selbst die sonst so oft verteufelte Neuverschuldung wird die amerikanischen Börsen beflügeln, weil es dieses Mal vor allem Investitionen etwa in Infrastruktur und Energie sind und der monetäre Überimpuls nicht an den Börsen verpufft.
„Doch es gibt ein Aber“, sagt Kreuz. „Wo der Schurke die Unternehmenssteuern senkte, will der Held sie erhöhen.“ Prognosen zufolge könnten die Unternehmensgewinne im S&P 500 bis zu 15 Prozent niedriger ausfallen, wenn die Steuererhöhungen den Kongress wie avisiert passieren. „Das wird die Aktienmärkte durchaus belasten“, sagt Kreuz, „wenn auch erst im kommenden Jahr.“
Für deutsche Anleger, die allzu gerne auch deutsche Aktien kaufen, ist das aber kein Trost. „Wenn der Dow mit dem Dax wackelt, dann zeigt es nur, dass der deutsche Aktienmarkt weiterhin am Rockzipfel der US-Börsen hängt“, sagt Kreuz. „Die Korrelation beträgt 0,96, was einen engen, gleichlaufenden Zusammenhang darstellt.“ So haben die Entwicklungen in den USA einen weit höheren Einfluss auf den Dax als etwa die Frage, wer der nächste deutsche Kanzler wird. „Wenn die Börse in den USA einen Schnupfen hat, liegt Deutschland schon am Tropf“, sagt Kreuz. „Deshalb ist es unwichtig, ob der nächste mögliche Kanzlerkandidat ein S oder ein D in der Mitte des Parteienkürzels trägt. Es ist viel wichtiger, sich nicht von politischen Strömungen leiten zu lassen und Aktien in der Hoffnung auf das Gute zu kaufen, sondern immer die realen Zahlen im Auge zu behalten.“ Diese haben wenig mit Gut oder Böse, sondern mehr mit realwirtschaftlichen Zusammenhängen zu tun. Politische Börsen haben bekanntlich kurze Beine.